Wie ich heute morgen mit Maxxl und Fido im Wald war, eingetaucht bin ins Guck-mich-an-Glück aus Rauhreif und Wintersonne, stiefelte ich über jede Menge Tannengrün. Da fielen mir die Geschichten ein, die mir meine Oma zum Einschlafen erzählt hat. Vom Tannenpurzel und dem Tannenpurzel-Lilelinchen und dem Tannenpurzel-Lilelilelinchen. Und schon purzelt er fröhlich vor mir übers Moos. Bleibt stehen, macht sich in seiner karierten Latzhose ganz groß, so zwei Handspann groß und sagt, während sein grünes Zipfelmützchen hin- und herhüpft: „Ich hab auch einen Weihnachtswunsch.“
Ich dreh mich erst mal um, ob mich auch wirklich keiner sieht, wie ich da so mitten im Chiemgauer Tannenwald auf Tannengrün stehend mit dem Tannenpurzel rede.
„Was wünschst Du Dir denn?“
„Ich wünsche mir etwas sehr, sehr, sehr.“
„Was wünschst Du Dir denn sehr, sehr, sehr.“
„Sag ich nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil der Wunsch ja vielleicht nicht in Erfüllung gehen könnte, wenn ich es sage.“
„Also ich finde, ein Wunsch kann schon auch in Erfüllung gehen, wenn Du ihn einem lieben Menschen mitteilst.“
„Bist du lieeeehiieb?“
„Ich denke schon. Also was wünschst Du Dir?“
„Einen Weihnachtsbaum.“
„Du hast hier doch schon Tausende.“
„Ja, schon. Aber die sind alle zu groß.“
Ich überlege, wie der Tannenpurzel damals, als ich das letzte Mal bei ihm war, so vor fast 50 Jahren, gelebt hat. Ach ja, in einer kleinen Wurzelhöhle. Mit einer Mooscouchgarnitur, einer Rotkäppchenlampe ... Tja: Der größte Zauber entfaltet sich in den kleinsten Dingen. Und alles ist relativ, je nachdem von welcher Warte man es betrachtet. Ich beuge mich runter: „Verstehe. Komm, wir suchen einen kleinen.“
Und wir suchen die ganzen herumliegenden Zweige ab, nach einem winzig kleinen Tannenbaum, so zwei Handspannen groß. Bald werde ich fündig. Denn da liegt so viel Grün herum. Das achtlos abgeschnitten und hingeschmissen wurde. So viel Tannengrün. Und jedes ruft: „Nimm mich!“ „Nein, nimm mich!“ „Oh nein, nimm mich!“ Diese Ganze Tannengrün möchten gerne weihnachtlich ausstaffiert werden. Mit Nüsslein, Strohsternen, Tannenzapfen, Äpfelchen ... und dann die Augen vom Tannenpurzel-Lilelilelinchen zum Leuchten bringen.
„Was hältst Du von dem hier?“ Ich zupfe an dem kleinen, etwas krummen Bäumchen, das, das mir am meisten leid getan hat. Und Tannenpurzel strahlt wie ein Honigkuchenpferd: „Das ist wunder-wunder-wunder-wunderschön.“ Er schultert das Bäumchen, winkt zur mir rauf, haucht noch ein „Danke!“ Und weg ist er. Während mir die Tränen aus den Augen kullern.
Ich schultere nachdenklich einen armen, krummen großen Zweig und schmücke dieses Jahr meinen ersten zwei-dimensionalen Weihnachtsbaum. Und denke dabei an Oma und Tannenpurzel und Einsteins Relativitätstheorie, Schrödingers Katze und die Parallelwelten in denen alle zusammentreffen. Vielleicht.
Ich wünsche euch allen ein besinnliches, friedvolles, glückliches Weihnachtsfest
Eure Marion Grillparzer