Gestern Nachmittag kam die kleine, sieben-Schafe-hohe Herde bei mir an, um ein paar Tage lang meine Wiese hinter dem Haus magerer zu weiden, damit sich hier alte Pflanzen etablieren und neue Insekten finden. Ich habe mir meinen Arbeitsplatz am Teich eingerichtet, um von meinem Job als Schäferin keine Minute zu versäumen. Es regnet Apfelblüten, die Mittagssonne steht am bairischen Himmel.
Sieben Wollknäuel liegen im Schatten des mobilen Schafhäuschens, käuen wohlig wieder, überlassen dem Mikrobiom in ihrem Pansen die Arbeit, aus jedem Blättchen all die Nährstoffe zu extrahieren, die es nur hergeben kann.
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Die beiden Mama-Schafe Scheicherl und Schnäbli und ihre Lämmchen, einmal Drillinge und ein Zwillingspaar, gehören der Gattung Ostfriesisches Milchschaf an. Das hat den unglaublichen Vorteil, dass in ihren Genen verankert ist: Ich bin (anders als das autonome Bergschaf) ganz eng verbandelt mit dem Menschen. Vor 10 000 Jahren haben wir das Schaf domestiziert. Seitdem melken wir es, leben von seiner Wolle, von seiner Milch. Das bedeutet: Es mag uns Menschen. Ist zugewandt und freundlich, möchte gekrault werden. Das steckt so in ihm drin. Das aggressivste Verhalten, das so ein Milchschaf zeigt: Wenn ihm was nicht passt, stampft es allerliebst mit dem Fuß auf. Manno!
Morgens um acht Uhr laufe ich mit meinem Kaffee zu den Schafen. Möchte mich gleich mal bei ihnen einschleimen. Mit Karotten und Äpfeln. Sie schlafen noch. Maria hat mich gewarnt: „Meine Schafe sind Langschläfer.“ Das ist mir äußerst sympathisch. Ist wie alles rund um die Wolfsberger Wanderschafherde easy going. Die kleine Herde kommt in der mobilen Hütte – inklusive Heu, Wasser und Stroh. Im Nu wird ein Zaun um die Wiese gesteckt. Die Hängertür geöffnet, schon stapfen sie raus – und grasen los. Bis es dämmert, dann gehen sie unaufgefordert schlafen. Und stehen spät wieder auf.
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Maria sagt: „Bei Schafen dreht sich der Tag ums Fressen und Verdauen. Sie machen alles in der Gruppe. Da wird zusammen gefressen. Zusammen geruht. Zusammen wiedergekäut und verdaut. Und dann geht es von vorne los.“ Stimmt. Während ich diese Zeilen tippe, schälen sie sich wieder aus dem mobilen Ställchen, alle miteinander, denn Schafe tun ja immer alles zusammen. Jetzt wird wieder eine Runde abgeweidet. Man hört ihnen zu, wie sie geschwind das Gras zupfen, rhythmisch und einlullend – man guckt einfach zu, vergisst die zänkische Welt und entspannt. Nach zwanzig Minuten fällt man aus seiner Schäferinnen-Meditation in die Wirklichkeit: Sie ziehen sich zurück in ihr Wohnmobil, knabbern ein bisschen trockenes Heu, legen sich hin und verdauen. Zeit zum Weitertippen.
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Wertvolles Kulturgut
Ach, ja – die Maria! Darf ich vorstellen: Maria ist die wirkliche Hirtin. Bäuerin in Wolfsberg, eine der wenigen, die alles auf ihrem (fast) autarken Hof haben. Hühner, Schafe, Bienen, Gemüseanbau in Fruchtfolge. Eine, die nach den Ideen der sozialen Landwirtschaft und nach den Prinzipien der Natur lebt. Sie möchte nicht nur den Markt mit ihren Bio-Gemüsen, Äpfeln, Kartoffeln, Honig und Eiern bestücken. Sie sieht das Zusammenleben mit Nutztieren als „wertvolles Kulturgut“ und möchte das den Menschen wieder näher bringen. Das tut sie mit den Besuchern, die bei ihr auf dem Hof in kleinen Hütten leben und sogar mitarbeiten können. Und das tut sie draußen – so kam sie auf die Idee der Wanderherde. „Die Nähe zu den Tieren ist ein Grundbedürfnis. Das sieht man an jedem Kind“, sagt sie. „Es gibt nicht mehr so viele Gelegenheiten für die Menschen, Tieren auf Tuchfühlung zu begegnen.“
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Das schwarz-weiße gesprenkelte Lamm heißt Strazzi, eingebayerischt von Stracciatella. Ich nenn’ sie Striezi, das Mädel, ist unglaublich neugierig. Kein Funken von Misstrauen. Im Gegenteil, sie bandelt gleich an – und besteht auf Kraulen. Jedes dieser fünf Lämmchen hat einen anderen Charakter. Der schwarze Max braucht immer ein bisschen, aber hat dann doch geschnallt, dass die neue Schäferin eine ganz nette ist. Er läuft mir gerne in die Fotolinse. Und stupst mich von hinten ins Knie. Die anderen beiden Schwarzen, der Muckl und der Mohn, sind eher scheu. Die kleine weiße Liesl ist auch ein bisschen zurückhaltend und echt arm dran: Sie hat ein Blutohr – beim Kopfschütteln irgendwo dagegen geknallt und angeschwollen. Maria schickt die Tierärztin vorbei. Die sehr, sehr junge Tierärztin in großen grünen Gummistiefeln sagt zu mir: „Setzen Sie das Lamm auf das Hinterteil.“ Ich biege mich zum Fragezeichen. „Okay“, sagt sie. Sie habe das auch das letzte Mal in der Uni gemacht und wisse nur noch, dass das gut funktioniert.
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Obwohl die Lämmchen zutraulich sind, sind sie ja nicht doof. Liesl hat gleich gewusst, dass wir ihr ans Fell wollen und macht Bocksprünge weg von uns. Gut, dass Maria mir gestern gezeigt hat, wie man die Herde anlockt. Mit Leckerlis, Kraftfutterbrekkies in einem gelben Eimer. Ich locke die Schafe in den Wagen. Die Tierärztin Lena macht zu. Und ich stehe hinter verschlossenen Türen mit sieben Schafen auf 10 Quadratmeter. Und gucke, ob sie mit dem Bein aufstampfen ... Schwitz! Endlich kommt Lena rein, wir fangen die Liesl, sie sitzt auf ihrem Po zwischen meinen Beinen und ich halte ihre Vorderbeinchen fest. Weil die junge Tierärztin ein Blutohr beim Schaf noch nicht hatte, muss sie erst noch einen schaf-spezialisierten Tierarzt aus ihrer Truppe anrufen. „Aufschneiden? Punktieren?“ Liesl sträubt sich. Ich kraule und kraule und singe und bete … und dann sitze ich auf meinem Hinterteil. Wir reorganisieren wieder alles. Und Liesl kriegt das Ohr eingerieben. Und eine Spritze gegen Schmerzen. Und macht nach unsicherem Herumstaksen wieder fröhliche Lämmchensprünge in die Freiheit.
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Viel Glück für wenig Arbeit
Selbst mal Tuchfühlung aufnehmen mit diesen lieblichsten Rasenmähern der Welt, das ist wie Baldrian schlucken, einen Joint rauchen und frisch verlieben gleichzeitig. Der Joint ist vierzig Jahre her, das frisch verlieben genau genommen auch), die Schafe sind jetzt: Es tut unglaublich gut, auf dieser Bank zu sitzen, die kleine Herde zu beobachten und von ihrem Frieden zu tanken. „Pure Medizin“, sagt Maria: „Die tiergestützten Therapien haben sich etabliert, weil man gemerkt hat, wie heilsam Tierbegegnungen sind – ein Tier zu streicheln, es zu beobachten, es zu versorgen, sich zu kümmern. Und das Schaf ist super. Es beißt nicht, es tritt nicht, es macht nix – außer aufstampfen.“ Sagt die echte Hirtin. Sie muss es wissen.
Und Arbeit macht es eigentlich auch nicht. Man guckt mal, ob noch genügend Wasser im Eimer ist. Füllt das Heu in der Raufe auf. Einmal am Tag, fünf Minuten. Die restliche Zeit bleibt einem, um mit den Schafen zu meditieren und sie zu kraulen. Das lieben sie, ausgiebig. Natürlich darf man auch mal ein Leckerli vorbeibringen, Obst, Gemüse, ein kleines Stückchen altbackenes Bio-Brot. Brauchen tun sie nur Gras und Heu. Maria sagt: „Man füttert das Mikrobiom im Pansen. Und das füttert das Schaf. Das heißt: Gras. Zufütterung ist immer Heu. Gras ist fett. Der Darm ist für mageres ausgelegt, sie brauchen also zum Ausgleich einen starken Rohfaseranteil ,um das Mikrobiom zu pflegen.“ Klar, so ein Schaf liebt trockenes Brot. „Es wird aber krank, wenn du ihm ein Kilo davon gibst.“ Man muss das Mikrobiom eben so richtig gleichmäßig füttern, es kann sich nur langsam anpassen und braucht die Beständigkeit – Gras und Heu. Und ebenfalls klar: Schafe brauchen Wasser zur freien Aufnahme.
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Rasenmäher, Wolle, Milch ...
Einmal im Jahr werden sie geschoren. Die Wolle verwendet Maria zum Mulchen ihres Gemüsegartens. Deswegen darf sie schwarz sein. Wieso sie so viele schwarze Lämmchen habe? „Weiß ist der präferierte Farbschlag wegen der Wolle. Ich mag die schwarzen lieber. Deswegen haben wir einen schwarzen Bock. Und wundervoll sind die Schecken. Die sind ganz selten.“ Zehn Lämmchen kommen im Wolfsberg im Jahr auf die Welt. Fünf Mädels kriegen meistens Zwillinge. Wenn sie älter sind, kommen schon mal Drillinge. Kürzlich brachte Maria sogar Vierlinge durch.
Wie Maria auf die Schafe gekommen ist? Rein zufällig, eine Freundin musste ihre Herde los werden, weil ihre Grünlandpacht abgelaufen ist. „Zur selben Zeit habe ich dreißig Obstbäume auf einem Anger angebaut, und da gab es Schwierigkeiten, das zu Mähen. So zogen bei uns sechs Schafe ein.“ Melken tut sie nicht: „Bei so einer kleinen Herde rentiert sich das Milchproduzieren nicht. Schade, denn Schafmilch ist die verträglichste aller Tiermilchen. Sehr gesund in der Zusammensetzung. Joghurt und Käse, schmeckt super lecker, wegen des hohen Fettgehaltes. Und es schmeckt nicht so intensiv wie Ziege.“ Die Milch kriegen also die Lämmchen. Die sind Gäste auf Zeit auf. „Nach sieben, acht Monaten wird es unruhig. Böcke werden bockig. Da ist ein guter Moment, die Herde auf den Stammstand zurück zu setzen.“
Ich bin entsetzt – ich könnte doch Striezi nicht... „Nein“, sagt Maria, „die Schlachttage sind keine guten Tage in meinem Leben, aber ich finde keine andere Lösung, um mit einer Herde von Tieren zu leben. Ich möchte, dass meine Schafe ihre Mutterschaft leben können. Und jedes Schaf muss sich von Natur aus irgendwann vom Lamm trennen. Ich merke schon, wann die Zeit reif ist. Ich versuche den Tierseelen zu sagen, dass sie sich aus dem Körper zurückziehen sollen. Begleite sie bis zum Schluss. Halte den Kopf, wenn der Metzger den Bolzen ansetzt.“ Das erinnert mich an „Emmas Glück“, das zauberhafte Buch von der liebevollen Schweinehirtin und ihrem krebskranken Lover.
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Der goldene Tritt
Und schon ist es wieder Zeit zum Grasen. Striezi macht ein paar lustige Bocksprünge. Der Obstgarten hat tausend Quadratmeter, und das biologische Mähen geht ratzfatz. Wo die das nur alles hinbringen! Sanft perlen schwarze Köttel auf die Erde. Die Schäferkultur ist ja fast ausgestorben, wächst nun wieder unter dem Aspekt der Landschaftspflege. Maria erklärt: „Die Schafbeweidung verhindert, dass ein Gebiet verbuscht und dann zum Wald wird.“ Im Mai sollte man wegen der Vielfalt der Insekten ja tunlichst nicht mähen, gilt das auch für Schafe? „Der Insektenwelt hilft es, wenn etwas unter 5 km/h auf sie zukommt.“ Der Rasenmäher ist so schnell, dass sich das Insekt nicht retten kann. Das Schaf lässt ihnen Zeit zu fliehen. „Und die Schafköttel sind auch noch ein Paradies für Insekten, dort können sie sich vermehren. Der Mist zersetzt sich binnen 14 Tagen und düngt den Boden.“
Das Schaf trägt Grüngut ab, bringt Nährstoffe ein und tut der Landschaft gut. Man spricht von dem goldenen Tritt. Eine Herde, die mit ihren kleinen Hufen die Grasnarbe nur zart verletzt, sorgt dafür, dass sie dicht wird, sie regt das Wachstum an, lüftet den Boden, vertreibt die Wühlmäuse. Weiden verändert den Bewuchs. Sorgt dafür, dass die Wiese immer ein bisschen magerer wird – und genau das wiederum sorgt für Artenvielfalt. Je magerer die Standorte, desto besser können sich auch nicht so durchsetzungsstarke Pflanzen etablieren, die selteneren, die vielleicht sogar nur einen einzigen Typ Insekt anlocken, der sonst aussterben würde.
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Maria faltet die Hände im Schoß und guckt glücklich auf ihre Wanderherde, die sie nach drei Tagen wieder mitnehmen darf: „Bevor der Mensch sesshaft wurde und die Landwirtschaft begonnen hat, hat das Schaf das Leben, die Kultur, die Mobilität mitgeformt. Als die Menschen sich neue Gebiete erschlossen habe, sind sie mit Tieren gewandert. Sie hatten Wärme, Kissen und Milch dabei. Heute fahren wir auf alten Schafwegen. Der Schafpfad wurde zum Weg und dann zur Straße.“
Was sie sich denn für die Zukunft wünscht, für Scheicherl, Striezi und die anderen wolligen Rasenmäher? „Klar: Grünflächen pflegen. Aber: Am liebsten in Kombination mit Menschen. Überall gibt es eine Wiese, die geweidet werden kann. Hinter dem Kindergarten, hinter dem Seniorenstift, im Stadtpark. Schon das Anschauen alleine ist seelische Nahrung.“
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Die Wanderherde
Was das kostet, was Du kriegst
Erst einmal wird telefonisch abgesprochen, ob die Wanderherde sich für den Zielort eignet. Wundervoll wären neben Grünpflege auch Besuche in Kindergärten, Behindertenwerkstätten und Altersheimen. Wenn es passt und alles geklärt ist, kommt Maria Willeit mit einem als Stall ausgebauten Anhänger zur Wiese. Steckt den Zaun ab, schützt die Zierpflanzen vor dem Schafbiss. Und macht eine kleine Einweisung in das Leben und die Verantwortung als Schäfer. Die Schafe schlafen in dem mit Stroh ausgelegten Wagen. Fressen aus der eingebauten Heuraufe und trinken dort ihr Wasser. Morgens kommen sie völlig relaxed rausgestapft. Tagsüber wird in 20-Minuten-Runden gefressen, geruht und wiedergekäut. Abends geht die kleine Herde selbstständig zum Schlafen. Maria Willet ist natürlich telefonisch erreichbar. Und kommt im Notfall vorbei.
Kosten: Eine Woche kostet 350 Euro für Stall, Herde, Aufbau, Einweisung, Abholung. Alles inklusive – sogar die Mehrwertsteuer.
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Mehr Infos: www.Schafzeit.de
Copywright: marion grillparzer