In regelmäßigen Abständen besucht mich ein Vögelchen auf meinem Fenstersims und erfreut mich mit seinen fröhlichen Gesangseinlagen. Der Augenblick ist wie dieser Vogel. Er kommt und verabschiedet sich wieder. Das Leben ist eine Abfolge von Abschieden. Jeder von uns führt seine persönliche Abschiedsliste. Die bekommt man am Tag seiner Geburt in die Hände gedrückt. Wir verabschieden und werden verabschiedet. Eines Tages für immer. Von unseren Liebsten, von der Welt, vom Dasein. Oft steht man an weit geöffneten Gräbern und stellt sich wesentliche Fragen. Starrt dabei seiner eigenen Abschiedlichkeit direkt und unausweichlich in die Augen. Bevor der letzte Vorhang fällt, unterweist uns das Leben regelmäßig in Sachen Abschied. Tagtäglich. Wir verabschieden uns am Morgen von unseren Liebsten und gehen in unseren Alltag. Es gibt regelrechte Zentren des Abschieds: Bahnhöfe. Flughäfen. Es gibt Abschieds-Lebensphasen. So verabschieden wir uns von unbekümmerten Kindertagen und werden in den Ernst des Lebens eingeschult. Kaum daran gewöhnt und neue Freunde gefunden, klopft uns Schulkamerad Abschied erneut auf unsere schmalen Schultern. Wege trennen sich und Klassentreffen finden nie mehr statt. Kaum da, ist die Jugend auch schon wieder weg. Meine Güte, ist dieses Luder flink! Zurück bleibt das Unbehagen vor dem Alter. Sogleich beginnt ein Laufdilemma. Dem Alter davonlaufen? Oder doch der Jugend hinterher? Egal, einfach mal laufen. Am besten einen Marathon. Als Beweis, dass noch eine gehörige Portion Jungsein in einem steckt. Dass man kein Alteisen ist. Daher auch ein heißes Eisen mit Motor kaufen. Reinschwingen oder draufschwingen und davonschwingen. Gerne gemacht in der Mittelkrise eines männlichen Lebens. Frauen hingegen schließen sich einer Anti-Bewegung an. Der Anti-Age-Bewegung. Ich mag keine Abschiede. Da bekomme ich Turbulenzen im Bauch. Brustkorb und Hals werden fest zugeschnürt. Weil ich mich schwer tu in dem, was Abschiede verlangen: im Loslassen. Wer mag schon Schönes, Angenehmes, Liebes und Gutes loslassen? Schöne Augenblicke, wohltuende Zeiten und liebe Menschen? Aber hilft nix. So ist das Leben einmal gestrickt. Außerdem notwendig, damit man wieder Platz für Neues im Leben hat. Leben ist ja lebendig und nicht statisch. Je mehr man sich auf seine täglichen Abschiede einlässt und sie bewusst und achtsam erlebt, desto weniger überrumpelt wird man eines Tages von seinem eigenen „Großen Abschied“ sein. Ich beginne gleich mit meinem Abschiedstraining und verabschiede mich für heute von Ihnen, liebe Glyx-Leser!