Atem stand täglich um fünf Uhr morgens auf, verließ um sieben seine Wohnung und fuhr in seinem alpinweißen VW T-Roc zur Arbeit. Atem arbeitete als IT-Experte in einem erfolgreichen Import-Export-Unternehmen. Zwölf-Stunden-Tage keine Seltenheit. In seiner Freizeit ging Atem Laufen, Mountain-Biken oder mit Freunden auf einen Absacker. Die meiste Zeit verbrachte Atem aber daheim. Alleine. In der virtuellen Welt von atembook und Co. Auf der Suche nach Atem-Freunden. In letzter Zeit überkam ihm dabei ein seltsames Gefühl. Das Gefühl war jenes, dass er eben keine Gefühle hatte. Das war auch am Morgen beim Aufstehen so und beim Schlafen und bei der Arbeit. Komisch. Und eigenartige Gedanken hatte Atem auch. Die stellten blöde und in seinen Augen unnütze Fragen. Ob er glücklich sei. Ob er andere glücklich mache.
Wie aus heiterem Himmel sah Atem ganz anders in die Welt. Er sah die vielen anderen Atem um sich. Die meisten waren wie er. Gestresst, kurz angebunden und oberflächlich, außer sich... Zornige, frustrierte, erschöpfte, traurige Atem und AtemInnen. Atemlose Welt. Selten aber doch auch: Mitfühlende Atem. Vertrauenswürdige Atem. Liebevolle Atem.
Atem hatte Sehnsucht nach dem, wonach sich alle Atem sehnen: Nach Länge und Tiefe. Ein Leben in Fülle. Atem ließ sein Auto stehen, ging in den Wald und machte einen Spaziergang. Endlich. Die klare und saubere Luft ordnete seine Gedanken und führte ihn zu seinem ureigensten Wesen zurück. Zu dem, was Leben ist: Ein und Aus. Kommen und Gehen. Nehmen und Geben. Lieben und sich Lieben lassen...