Wenn man jetzt vor die Tür geht, dann steht man mitten im Herbst. Inmitten seiner bunten Facetten. Bunt sind auch seine Blätter, mit denen er uns eine wohltuende Freiluft-Farbtherapie schenkt, bevor er sie zu Boden fallen lässt und er mit Novembernebel die Landschaft in seinen grauen Schleier hüllt. Eine Atmosphäre von Vergänglichkeit breitet sich aus. Kein Zufall, dass in diese Zeit auch unser „Allerseelen“ fällt. Da denkt man in besonderer Weise an die Menschen, die bereits geworden und vergangen sind. Allerseelen ist ein Tag, an dem der Tod die Hauptrolle spielt. „Bruder Tod“, wie ihn Franz von Assisi besingt. Von den allermeisten von uns nur stiefbrüderlich behandelt. Weggeschoben, ausgesperrt, verdrängt. Schade eigentlich. Außerdem bringt es nichts, er bleibt trotzdem bei uns. Wir sollten den Tod deshalb zu unserem Vertrauten und Berater machen. Könnte er uns doch so viel über das Leben erzählen. Wir dürften für unser Leben eine Menge von ihm lernen. Er würde uns sagen, dass unsere Lebensaugenblicke begrenzt und deshalb enorm kostbar sind. Die Tatsache, dass wir alle einmal sterben müssen, animiert dazu, unser Leben nicht auf später zu verschieben. „Wenn ich in Rente bin, dann mache ich…, dann werde ich…, dann fahre ich…, dann genieße ich…“ Aber woher nehmen wir diese selbstverständliche Gewissheit, dass es soweit kommt? Keiner von uns weiß, wie viel Lebenszeit ihm gutgeschrieben ist. Bruder Tod verleiht uns den Mut und den nötigen Kick, unsere Lebensentwürfe, Wünsche, Talente, Begabungen, Ziele sofort anzugehen. Jeder von uns kennt den Slogan, man solle so leben, als wäre heute unser letzter Tag. Aber wer von uns kann das schon hundertprozentig umsetzen? Sie? Ich auch nicht. Obwohl ich schon sehr lange daran übe. Ich habe mir seit einiger Zeit eine Übung aus dem ganz frühen Mönchtum zu Eigen gemacht. Ich denke einmal am Tag für einige Augenblicke an meine Sterblichkeit. Einmal täglich einen Gedanken an Bruder Tod. Das hat nichts mit unstillbarer Todessehnsucht zu tun. Ich lebe gerne. Gerade deshalb mache ich es. Damit ich mein Lebensguthaben nicht als selbstverständlich hinnehme. Diese Übung steigert die Lebensfreude und den Lebensmut.
Und wer von uns hat schon immer reichlich davon?