"Italia terra fecunda est.“ Italien ist ein fruchtbares Land. Und das nicht erst seit Berlusconis Bunga Bunga. Das war der erste lateinische Satz, der über meine Lippen kam. Damals. In grauer Vorzeit. Schulvorzeit. Dieser unscheinbare Satz fiel auch bei mir auf mehr oder weniger fruchtbaren Boden. Denn in der ersten Lateinstunde erzählte unsere Professorin Elisabeth Wörtl – die Götter mögen sie selig haben - etwas über römische Götter. Einen von diesen Typen fand ich total cool: Janus. Schon rein von seiner Erscheinung her. Ein Kopf. Zwei Gesichter. Eines schaut nach vorne, eines nach hinten. Face Two Face. Quasi. Warum zwei Gesichter? Eine Mutation? Eine Folge aus einer antiken Atomkatastrophe? Ein römischer Tschernobyl-Fukushima-Super-GAU zum Quadrat? Ist Janus gar ein außerirdischer Besucher, frei nach Erich von Däniken? „Janus“: eine Gedankenspielerei, ein Projektname eines römischen Tüftlers? Der von allen immer nur „Der Komische, der Sonderling, der Spinner in seiner Werkstatt“ genannt wurde? „Janus“ quasi sein origineller Vorläuferentwurf zu künftigen Rückfahrkameras und Pre-Crash-Systemen moderner Autos? In diesen spähen optische Linsen mittlerweile in alle möglichen und unmöglichen Richtungen. Oder ist Janus eine gespaltene Persönlichkeit? Hannibal Lecter ein schweigendes Lämmchen dagegen? Ist Janus bloß ein Spiegel? In echt siehst du gar nicht ihn. Sondern dich selbst. Weil gespalten und doppelgesichtig und doppelzüngig wir ja allesamt. Frage nicht. Privat bist du anders als im Beruf. In deinen vier Wänden anders als unter Leuten. Menschen, die du magst, behandelst du anders als jene, die dir einfach am Arsch vorbeigehen. Und beim Sex bist du noch einmal ein ganz anderer als wenn du beim Finanzamt sitzt. Wobei: Da und dort musst du deine Hose runter lassen. Wer kennt schon sein wahres Gesicht? Eigentlich müsste Janus mehr als zwei Gesichter haben! Neben Spiegelbild kann Janus auch Vorbild sein. Ein Meditationsbild. Eine Ikone des menschlichen Miteinanders. Ein interkulturelles Piktogramm. Für mehr VORsicht und RÜCKsicht. Bei deinen Artgenossen… Bei Bienen, Bächen, Almen, Wiesen, Gänseblümchen, Ziegen, Birken, Hasen… Fast täglich sage ich zu Leuten auf der Straße: „Rücksicht bitte! Vorsicht bitte!“ Nein, ich bin kein Besserwisser, Moralapostel oder Wanderprediger geworden. Das ist meine normale Gesprächsbasis mit Smartphone-Exhibitionisten. Die in ihrer virtuellen Welt auf realen Gehwegen spazieren gehen. Da passieren Zusammenstöße. In der realen Welt mit realen Menschen. Mit realen blauen Flecken. Deshalb aktiviere ich mein Pre-Safe-System „Janus“ und rufe: Vorsicht! Rücksicht! Je nachdem. Ob Frontalcrash droht. Oder Aufprallunfall. Siehst du, das würde unserem Janus nie passieren. Künftig werde ich nur mehr „Janus!!“ schreien. Leben ist Janus. Immer zwei Seiten: Warum freuen sich die einen über den ersten Schnee, während sie beim Christbaumschmücken aus dem Fenster ihres wohlig warmen Heimes schauen? Während ein Obdachloser panische Angst bekommt, weil er nicht weiß, wohin heute Nacht. Warum klagen die einen über ein paar Fältchen um die Augen? Während ein anderer gerade die Diagnose Krebs erhält. Warum verzweifelt eine Mutter in ihrer Wohnung im zehnten Stock? Weil sie nicht weiß, woher das Geld für das Nötigste. Während andere sich nicht entscheiden können, ob sie heute mit dem Porsche oder doch mit dem Bentley ins Jagdhaus fahren... Warum baut man selbstfahrende Autos, solange es Menschen gibt, die an Hunger sterben? Normalerweise sollte man zuerst diesen helfen und Hunger, Kriege, Armut und dings beseitigen, bevor man sich an diverse Luxusideen heranmacht. Ach du lieber Janus! So viele Fragen. Mindestens zwei Gesichter. Aber nur ein Hirn.