Vor Jahren stand ich auf einer Kabarettbühne. Ein guter Bekannter von mir, ein österreichischer Kabarettist, schenkte mir als Dankeschön für ein paar Tage Kloster auf Zeit – damals war ich noch aktiver Benediktiner – zwanzig Minuten seiner Bühnenzeit. Ich nahm an. „Denk dir was aus und wir sehen uns ins drei Wochen!“, waren seine Abschiedsworte. Drei Wochen später: Ein kalter Novemberabend. In Wien. Ich stehe hinter der Bühne. In meiner schwarzen Mönchskutte. Als Kabarett-Mönch auf Zeit. Draußen warten dreitausend Seelen, deren hungrige Augen nach Unterhaltung gieren. Ob sie mich zerfleischen? Erst jetzt wird mir klar, was ich getan habe. Als ich damals ja sagte. Lampen-Panik macht sich unter meiner Kutte breit. Prüfe noch einmal, ob das Mikrophon gut angeklebt ist. „Mut ist, dass man es trotz der Angst tut!“, sind meine letzten Trost-Gedanken, bevor ich auf die Bretter trete, die die Welt bedeuten. Ob es was nützt? Triumph oder Hinrichtung? Meine eindeutigen körperlichen Symptome zeigen zweifelsfrei auf Hinrichtung. Nun stehe ich da, alleine mit mir, ohne Hilfsmittel, ohne Partner, fühle mich total nackt und ausgeliefert. Bloß Menschen sehe ich keine. Ich schaue mitten in ein grelles Licht. Bin ich tot? Nein, nur das Bühnenlicht. Das taucht das Publikum in ein Meer aus Dunkel. Ganz alleine stehe ich doch nicht auf der Bühne. Ein Püppchen ist bei mir. Meine Handpuppe. Ein fesches Dirndl im Dirndl und einem langen blonden Zopf. Sie verkörpert meine innere Stimme. Meine „Innere Stimme“, stellt dem Publikum Fragen. Redet mit ihm. Erzählt Geschichten. Während ich so spiele und rede, die Lacher genieße – meine Güte, die lachen ja wirklich - redet sie plötzlich zu mir. Ganz persönlich. Während ich spiele, reflektiere ich in meinem Inneren über das nach, was ich gerade mache. Die Welt ist eine Bühne, so heißt es. Und wir alle Schauspieler. Wir spielen also nur etwas vor. Wollen etwas darstellen. Meist will man mehr sein, als man gerade ist. Hübscher, glücklicher, erfolgreicher, beliebter, reicher… Wir wollen Erwartungen entsprechen, unseren eigenen, die oft überzogen und zu perfektionistisch skizziert sind. Viel öfter noch will man die Erwartungen anderer erfüllen. Um geliebt zu werden. Deshalb spielt man fröhlich weiter. Wird dabei aber immer unfröhlicher. Sehr oft ist man ein ganz anderer, als man wirklich ist. Die Natürlichkeit geht verloren. Noch nie war der Ruf nach einem natürlichen Leben so stark, wie es gegenwärtig der Fall ist. So mein Gefühl. Authentizität. Zurück zur Natur. Zurück zu den Ursprüngen. Was auch immer das heißen mag. Aber es lässt sich damit gut Geschäfte machen. Fast kein Lebensmittel mehr in den Regalen, wo nicht die „Natürlichkeit“ gepriesen wird. Landidyllen auf den Packungen. Fotos von bodenständigen und ehrlichen Landwirten auf Eierkartons. Aber auch das ist Schauspielerei. Man spielt Natürlichkeit und somit wird sie wieder künstlich. Nicht echt. Übertrieben. Kinder faszinieren uns deshalb, weil sie authentisch sind. Tiere sind es ebenso. Erwachsene fast gar nicht mehr. Warum ist das so? Mein Spiel auf der Bühne ist vorbei. Ich genieße den Applaus, verbeuge und bedanke mich. Der Vorhang fällt. Ich trete von der der Bühne und - spiele weiter??