Ein kleines Würmchen hat in meinen Ohrwascheln alias Hörmuskeln vorübergehend Quartier bezogen. Der kommt und geht wann er will. Fackelt nicht lange herum. Frage nicht. Sein Lebensmotto: Wer lange fragt, der kommt zu nix. Diesmal hat er wieder eine hypnotisierende Dauerschnulze in seinem Reisegepäck, mein Ohrwurm. Und die geistert sicher wieder den ganzen Tag in meinem Dickschädel herum. Irgendwann, irgendwo, irgendwie sehen wir uns wieder…, geträllert vom menschgewordenen Ohrwurm von Mallorca - Jürgen Drews - höchst selbst. Seit ich aus dem Bett gestiegen, nein, nicht aus dem im Kornfeld. Mein Ohrwurm ein ganz emotionaler noch dazu. Also Ohr und Herz schraubzwingenmäßig im sentimentalen Würgegriff. Irgendwann, irgendwo…, die Hymne meiner Matura- vulgo Abiturzeit. Ein musikalischer Eid unserer Klassengemeinschaft auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft, in die wir mit staatlich bescheinigter Reife aufbrachen. Quasi vom Winde kommender Fügungen verweht. Jeder in eine andere Himmelsrichtung. Dorthin, wo von nun an die wahren Reifeprüfungen über die Bühne gehen werden: Ins nackte Leben hinein. Uns wieder zu sehen, so oft als möglich, uns nie aus den Augen verlieren, so unsere abschiedstraurig-euphorische Devise. Die Drews-Hymne sollte uns darauf einschwören und stets daran erinnern. Wann immer und wo auch immer wir sie hören sollten, da möge unsere gemeinsame Zeit für Minuten wieder lebendig sein. Quasi nostalgische Realpräsenz. Als mein Ohrwurm seine Gesangseinlage beginnt, ich sofort direttissimo in den Neunzigern. Aber hallo. Quasi Zeitreise nach Noten. Wieder einmal. Alles wieder da. Und alle wieder da. Der typische Geruch unseres Klassenzimmers: Üppig aufgetragene Bienenwachsmöbelpolitur, Salamibrot-, Wurstsemmel- und Manner-Schnitten-Pausen-Aura, rauchende Studierköpfe, erdiger Kreidestaub und eine gehörige Dosis Angstschweiß all jener, die einer Panikattacke nahe, wenn der Matheprofessor mit sonorer Stimme Russisches-Roulette spielte und beispielsweise: „Michael Bauer, bitte an die Tafel!“ verkündete. Hinrichtung nix dagegen. Frage nicht. Weil nach Hinrichtung alles aus und vorbei. Game over. Nach blamabler Tafel-Rechnen-Choreographie bleiben Schande und Scham bis in heutige Maturaträume erhalten. Mein lieber Schwan. Integral-Bauchkrämpfe, Differential-Übelkeiten, Wahrscheinlichkeits-Durchfälle und aus etlichen Kurvendiskussions-Kurven mit Karacho hinausgesegelt und mehrfach überschlagen, sodass mir Hören und Sehen verging. Ja schau, die schöne Irene ist auch da! Freund der Berge, war ich in die verschossen! Zu Beginn nur nach Goethe-Art, sprich: Gelitten wie ein junger „Werther“, weil Irene verflixt hübsch und ich verdammt schüchtern. Diese Paarung natürlich nicht gerade Idealbesetzung, wenn du Angebeteten zeigen und sagen möchtest, dass sie dings und du dir wünscht, mehr zu sein als nur Schulkollege oder bloß ein Kumpel. Eine Mischung aus Jennifer-Aniston-Keckheit, umwerfendem Julia-Roberts-Lächeln und süßer Hoffnung - die Irene. Und geduftet nach Vanille und purer Lebensfreude. Halleluja. Mathematik des Herzens. Kurven-Diskussionen am lebenden Subjekt, ja, die mag ich eindeutig lieber. Und aus weiter Ferne lieblich klinget die Gauß´sche Glocke. Ohrwürmer verfügen über einen reichen Schatz an Methoden, um in deine Gedanken zu kriechen. Da spielt es nicht nur Herz-Schmerz-Schmalz-Schnulzen. Ohrwürmer können von heute auf morgen dein Leben aber so was von umkrempeln. Das glaubst du nicht. Dabei bekommt der Ohrwurm nicht selten tatkräftige Unterstützung von seinem lieben Cousin zweiten Grades: Dem Floh im Ohr. Dieser zwar etwas kleiner, aber umso (fl)oho! Er ist hartnäckiger als Cousin Ohrwurm. Beißt sich fest und beschert dir ein Jucken frei Haus zum Aus-der-Haut-fahren. Es juckt dich dies und das. Eine Idee da, ein reizvoller Gedanke dort, der dich bereichern, total verändern kann. Verändern im Sinne von verbessern natürlich. Sehr oft damit verbunden, dass du in die Gänge kommen und deine so genannte Komfortzone verlassen müsstest. Und das geht gar nicht! So einen Blödsinn kann keiner brauchen. Das interessiert dich einen feuchten Kehricht. Dein Floh aber lästig als wie nur was und gekommen, um zu bleiben, dieser Lauser! Außerdem ein schlauer Fuchs und ein Weiser und ein ganz Lieber. Kein Blutsauger wie Läuse am Kopf oder gar jene im „Filz“. Nein, woher! Der sauft nicht roten Lebenssaft auf ex, im Gegenteil, er möchte dir mehr Lebendigkeit einjucken: Sinn, Mut, ein runderes Dasein. So ist Ohr-Floh drauf. Quasi der Floh, der zu deinem Flow wird. Einfangen kannst du dir Ohr-Floh ja überall und jederzeit. So ganz nebenbei. Wenn du unter Leuten bist, bei Gesprächen. Ein Gedanke, ein beiläufiges Wort, ein Blick, eine Geste. Ein Ort, ein Duft, ein Buch, ein Film, eine Urlaubsreise, ein Bild, ein neuer Lebensabschnitt, ein Traum sogar. Und schon kitzelt alias juckt ES. Solange, bist du dein Ding, das dir Ohr-Floh einflüstert, auch in die Tat umsetzt. Und es sind ja nicht wesensfremde und persönlichkeitsferne Sachen, die er dir in dein Ohr liefert. Die sind von Anfang an in dir drinnen, aber du hast sie noch nie oder nicht mehr beachtet, vergessen, weggeschoben, vernachlässigt und dings und so. Darum springt dich dein Ohr-Floh an und hilft dir auf deine Sprünge. Wer weiß, wie oft wir selbst schon Teilzeit-Ohr-Floh für andere waren oder sind, ohne es zu wissen?! Einer von der motivierenden Sorte! Hoffentlich! Oder sind wir die meiste Zeit und allesamt am Ende gar nur lästige Gwandläuse für Mitmensch und Globus?