Meine Fingernägel weinen. Warum? Berta steht um sieben Uhr morgens schimpfen vor der Haustüre. Ich geh raus. Sie läuft Richtung Hühnerhaus. Ich hinterher. Lotte sitzt zusammengekauert im Eck. Der Kamm hängt. Sie guckt traurig. Berta ist aufgeregt.
Ich pack Lotte ein. Wir gehen zum Tierarzt. Eine OP, zwei Tumore, den Bauch voller Schichteier, 600 Euro und zwei Tage später begraben Berta, Maxxl, Bobo, Wolf und ich unser Familienmitglied. Vier Jahre lang hat Lotte uns täglich gluckerndes Glück geschenkt und jede Menge dunkelbraune Bio-Eier. Wir alle trauern. Bis zu den Finger-, Pfoten- und Krallenspitzen.
Was tun. Berta steht morgens schon inbrünstig gackernd vor der Tür, um uns von ihrem Ei zu berichten. Das jetzt täglich. Nachdem sie Wochenlang nicht gelegt hat. Wahrscheinlich hat sie schon länger gewusst, dass mit Lotte etwas nicht stimmt. Tagsüber heftet sie sich Schritt für Schritt an meine Fersen. Liegt unter meinem Liegestuhl.
Berta darf nicht alleine bleiben. Ich telefoniere, guck mir süße Küken bei unserer Nachbarin Melli an, lehne haufenweise Hahnangebote ab. Und fahre schließlich am Samstag mit Wolf zu Frau Mayer. Vom Geflügelhof Mayer. Sie hat junge Maran-Hennen. Die sehen aus wie Berta, da wird dann vielleicht weniger gefremdelt. Was Hühner ja am Anfang auf nicht gerade zimperliche Art und Weise tun. Kampfhennen stellen Hackordnung her. Davor fürchte ich mich. In meinem wunderbaren kleinen Burgfrieden.
Tag 1: Die beiden jungen Hennen, noch namenlos, kommen erst einmal ins kleine Kinderhäuschen von Berta und Lotte. Wir bauen einen kleinen Zaun drum rum. Damit die beiden nicht wegfliegen, kürzen wir die Federn an einem Flügel. Das macht man so. Das tut nicht weh. Und verhindert, dass die beiden im Bach landen. Am Abend picken sie ihr Futter in der neuen Wohnung. Machen keinen ängstlichen Eindruck mehr.
Tag 2: Noch trauen sie sich nicht aus dem Häuschen. Berta stiefelt den ganzen Tag rund um den grünen Zaun. Guckt, was sich da tut. Und plappert vor sich hin.
Wolf und ich suchen noch nach Namen. Ich frage ChatCPT welche Namen zu Berta passen. ChatCPT nennt mir 20 Namen. An erster Stelle steht Frieda, an 21. Stelle Wilma und an 24. Stelle Trude. ChatCPT: „Diese Namen haben einen ähnlichen traditionellen Charme.“
Wolf will Wilma und Trude. Mir geht Frieda nicht aus dem Kopf. Aber erst mal beobachten.
Tag 3: Wir stellen das Häuschen neben Bertas Hühner-Villa. Öffnen das Gatter. Besprühen alle drei mit Bier. Wie uns die Züchterin geraten hat. „Wenn sie alle gleich riechen, funktioniert das Eingliedern besser.“ Berta guckt zur Tür herein. Plustert sich auf, auf fünffache Größe. Und ist sichtlich not amused.
Ich füttere die Körnchen draußen. Wilma und Trude-Frieda springen eine Stunde später aus dem Häuschen. Berta legt sich gleich mal mit Wilma an ... und Trude-Frieda bleibt im Abseits.
Ich hol das Aqua Di Fiori Aura Spray, das ich in letzter Zeit verwende, wenn Wolf grantig auf mich ist. Weil ich ihm sein weißes Paul-Smith-Hemd rosa gefärbt hab‘. Zum Beispiel. Ein bisschen sprühen – und Liebe umhüllt einen. Der Hersteller sagt: Das findet der Gegenüber dann unwiderstehlich. So heißt es. Eine alchemistisch-spagyrische Rezeptur aus der Naturheilkunde. „Das Spray wirkt anziehend, aphrodisierend und kontemplativ.“ Wunderbar. Jedenfalls sind die Hühner dann auch friedlich. Picken nebeneinander – und ich lesen ihnen den Text von ChatCPT über Placebo-Effekt bei Hühnern vor. Sehr interessant: „Wenn der Tierhalter glaubt, dass eine bestimmte Behandlung wirkt, könnte er positive Veränderungen wahrnehmen oder erwarten, auch wenn die Behandlung selbst keinen direkten Einfluss hat. Durch die veränderte Interaktion und das erhöhte Interesse des Halters an den Tieren könnten die Hühner entspannter und weniger gestresst sein ...“
Also entweder wirke ich oder Aqua Di Fiori Aura – bei Wolf und den Hühnern.