Kurze Vorgeschichte: So ein Lebenswunsch hat es an sich, dass er nur erfüllt wird, wenn man ihn äußert. Am besten dort äußert, wo die Wunscherfüllung auch im Rahmen des Möglichen liegt. Wenn man mit einem ultraleichtfliegenden Motorrad fliegen will, muss man diesen Wunsch äußern, sobald man einen trifft, der ein solches besitzt. Da spielt natürlich das Universum wieder eine Rolle – und das hat sich ein paar Jahrzehnte Zeit damit gelassen, Christoph Proeller meinen Lebensweg kreuzen zu lassen. Und zwar über Naturkosmetik der ganz besonderen Art. Ihr wisst ja mein Motto: Gesundheitsrezepte müssen gut und einfach sein. Und zur Gesundheit gehört Schönheit. Und Energie. Und Wohlfühlen. Aber dazu ein anderes Mal. Christoph jedenfalls stellt sensationelle Naturkosmetik her mit einer Portion Alchemie – und ist Pilot eines Ultraleicht-Fliegers mit grünen Flügeln. Der steht da jetzt in Bad Endorf und wartet darauf, dass ich aufsteige.
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Christoph, mein zukünftiger Pilot, drückt mir ein paar gigantische Wollstrümpfe in die Hand. Die muss ich anziehen unter meinen dicken Wanderschuhen. Dann lässt er mich samt Anorak und Jeans in einen gelben Michelinmännchen-Anzug schlüpfen, einen Schlauchschal .... Es dauert keine 30 Sekunden, und ich löse mich in Wasser auf. Christoph: „Einfach nicht denken und nicht bewegen, dann schwitzt du weniger.“ Ich versuche beides. Sitze auf, werde angeschnallt, krieg einen Helm auf den Kopf. Nicht denken, nicht bewegen, nicht schwitzen ... Dieser Satz ist pure Philosophie. Ich ziehe die Handschuhe an. Fühl mich wie ein Zehn-Minuten-Ei von Berta. Christoph springt leichtfüßig in kurzer Jeans und Tischi um das ultraleichte Flugobjekt herum, um noch so dies und das zu erledigen, bevor er sich auch in die Fliegermontur schmeißt. Ich mutiere zum Zwanzig-Minuten-Ei im Wasserbad. Das nächste Mal – erwische ich mich denkend – schreib ich auf meiner Lebenswunschliste die Wunschtemperatur daneben.
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Ich sitze kurz davor, auf sagenhafte 3000 Meter Höhe über die Kampenwand zu steigen – wenn ich nicht vorher kollabiere. Heute ist der heißeste Tag im Jahr 2022. Dreißig-Minuten-Ei an Pilot: „Wann ist es so weit?“ Wir üben ein bisschen, uns über den Helm, den eingebauten Lautsprecher und das Mikro zu unterhalten. Mich wundert, dass das Wasser noch nicht zum Visier hochsteigt.
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Dann irgendwann vertreibt ein Adrenalinstoß den nahenden Ohnmachtsanfall. Christoph zieht das Motorrad in den Himmel hoch. Ich bin der kleine Häwelmann. Die Segelboote auf dem Chiemsee sehen aus, als seien sie aus Streichhölzern gebaut. Die Relation zum karibischfarbenen bayerischen Meer stimmt irgendwie nicht. Wir fliegen an der Fraueninsel vorbei, der Krautinsel, Herrenchiemsee ... Man sieht das Neue Schloss Herrenchiemsee aus einer neuen Perspektive. Ein Zugvogel würde vielleicht verblüfft sein und könnte meinen, er hätte sich verflogen, weil er das gleiche in Versailles gesehen hat. Das war König Ludwig sein letztes Projekt. Er hat da nur ein paar Tage drin gewohnt. 120 km/h, 5260 Fuß ... und wir steigen und steigen und steigen. Berge, Gipfel, Wälder, winzige Sträßchen, Felder, Kirchen, Bauernhöfe ... Ein einziger impressionistischer Farbtupfenrausch. Irgendwann später überholen wir im tiefblauen Meer des bayerischen Himmels eine Zuckerwatte. Die bauschigen Naturwunder vor uns überfliegen wir. „Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“
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Wade an Marion: „Was machst Du eigentlich, wenn ich krampfe?“ Oje – ich merke, wie steif ich bin. Von oben bis unten angespannt wie ein Flitzebogen. Mein kurzer Bodyscan (ihr habt ihn hoffentlich auch alle parat für solche Fälle!) lockert mich, und Christoph macht das auch gleich ein wenig lockerer, er gibt mir Daumen-hoch-Zeichen. Später wird er mir sagen: „Ich dachte, Du hast Angst, so verkrampft wie du warst. Und so still.“ Wir fliegen über die Kampenwand rein in die Alpen. Unter uns ein Segelflieger. Schön leise. Wir brummen ziemlich. Ich bin locker und glücklich. Und temperaturtechnisch froh, dass ich dicke Wollstrümpfe anhabe und aussehe wie ein gelbes dickes Marsmännchen. Dieses Gefühl dort oben ist einfach unbeschreiblich. Keine Zeit für Angst. „Heit is so a schena Dag. Und i fliag, fliag, fliag wie a Fliega ...“ Jeden kleinen Furchtfunken erstickt das Farbspiel der grünen Flügel im blauen Himmel. Prien, Chieming ... Spielzeugdörfer. Die Alz schlängelt sich durch den Chiemgau, betupft mit Stand-up-Paddlern. Jemand hat das Kloster Seeon ins Bild gemalt. Christoph steuert auf Pavolding zu – mein Zuhause. „Schau, da winkt jemand!“ Wolf! Ich seh‘ sogar den kleinen Maxxl, der bellend durch den Garten läuft.
In meinem Bauch gluckst es, in meinem Kopf singt es, ich erinnere mich an frühere Zeiten, als wir in der Fliegerkneipe zum Zapfenstreich alle Papierflieger gebaut haben und das ganze Lokal gesungen hat:
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„Flieger, grüß mir die Sonne
Grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond
Dein Leben, das ist das Schweben
Durch die Ferne, die keiner bewohnt.“
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Nach zwei Stunden landen wir wieder in Bad Endorf. Ganz sanft gleiten wir über die Wiese. Nicht mal ein noch so kleines Aufdupfen. Mein sehr, sehr guter Pilot Christoph erklärt mir, während ich mich aus den Wollstrümpfen schäle: „Schau, da ist die Rakete, die fliegt raus, wenn wir einen Notfall haben, und der große Fallschirm öffnet sich.“ Tja, irgendwie ist das ja schon gut zu wissen im Nachhinein.
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Abends schicke ich ein Foto von meinem heutigen Fluggerät, meinem Piloten und mir im gelben Mars-Anzug an meine Freundin Silvia.
Sie: „Motorrad mit Flügeln. Echt cool. Auch dein Anzug!“
Ich: „Es war so warm.“
Sie: „Außergewöhnlich warm. Ist der Pilot auf dem Foto in kurzen Hosen geflogen?“
Ich: „Klar, hat erst mich so angezogen und sich dann in Badehose ins Cockpit gesetzt.“
Noch beim Einschlafen muss ich lachen. Nachts träume ich davon, meine rote Vespa hochzuziehen, in Wolken einzutauchen, ein Stück Blau aus dem Himmel zu schneiden …
Und hier gibt's das Video zum mitfliegen
Film von Christoph Proeller. Schnitt und Bearbeitung von Matteo Biemmi.