Genau das macht das Leben so lebenswert. So sehr, dass ich meine Perfektion mal wieder abgelegt habe und den Glyx-Letter erst dann schreibe, wenn mir das Herz danach ist. Und nicht der Kopf. "Lieber ich als perfekt", heißt das Buch, das meine Freundin Regular Stämpfli vor ein paar Jahren geschrieben hat. Das ist übrigens ein wundervolles Lebensziel. Unperfekt sein. Weil man dann nämlich Zeit hat für die wesentlichen Dinge im Leben. Auf den Berg gehen. Der Weg auf den Berg hinter dem Haus ist steil und sehr, sehr uneben und steinig. Man meint gleich kommt der Esel um die Kurve. Eigentlich bräuchte auch man vier Beine. Immer mal wieder taucht am Wegesrand eine alte Badewanne auf, sammelt frisches Quellwasser, aus undichten Schläuchen. Rehe trinken hier, Wanderer und ihre Hunde.
Nach dem unperfekten Gipfel (497 Meter vorher umgekehrt, um für das nächste Mal noch ein weiteres Ziel zu haben), wieder gemütlich unten auf der Terrasse sitzen. Ein großes Glas Zitronenwasser mit Minze schlürfen. Und die Unendlichkeit des Meeres einziehen lassen. Die Frage stellen: Was ist da hinter dem Horizont? Oder auch nicht. Einfach mal nichts grübeln. Einfach nur sein. Wie hat Cicero so schön gesagt: "Der ist kein freier Mensch, der sich nicht auch einmal dem Nichtstun hingeben kann."Â
Wesentlich ... Abends mit Lieblingsmenschen um einen Tisch sitzen. Die Päckchen vom Grill genießen. Dorade auf dem Lauchbett mit Tomaten und Zitronenthymian. Pfirsich mit Schafskäse, Thymianzweigen und rotem Pfeffer. Wenig Zutaten. In einem Päckchen. Wie scheinbar unperfekt. Pure – und so gut. Dazu einen eiskalten Rose. Das Glück nippt mit.
Die Sonne geht auf. Rehe stehen auf der Terrasse. Nagen an den kleinen Olivenbäumchen. Die Orangen sind unglaublich bitter. So bitter, dass ich jeden Morgen eine esse: unperfekt ist Medizin. Bitterstoffe. Die Algerobas hängen so hoch, dass man warten muss, bis sie einem auf den Kopf fallen. Das lohnt sich. Wenn nicht die Rehe schneller sind. Die Zitronen sind so groß, dass die Zitronenpresse zu klein ist. Die Kräuter wachsen heckenweise. Von der Hand in den Mund. Und so riecht Italien. Nach Kräutern. Nach Weinstöcken. Nach Kindheit. Man darf wieder Kind sein. Mit einem Herzen, das so groß ist, dass es nicht in das kleine Gefängnis passt.