Neujahr. Man wacht auf und hat das Bedürfnis sofort mit der großartigen Veränderung zu starten. Dem Himmel sei Dank, wacht man dafür auf nach einem kreativen Gala-Dinner mit gutem Wein, ehrlichen Produkten aus der Region, neben seinem Liebsten nach einer herrlichen Nacht, in einem Körper in dem man sich wohl fühlt, ohne Kater in einem wundervollen Landgasthof. Gut Edermann, in Teisendorf, liegt auf einem Hügel im Berchtesgadener Land. Umgeben von im Morgenrot leuchtenden, schneebedeckten Gipfeln. Großen Wiesen, antike Brücken, Jahrhunderte alte Höfe. Und: Hühnern, die tatsächlich im Misthaufen picken. So beginnt man idealerweise 2020 das neue Leben. Raus aus dem Bett, in die Laufschuhe... Hmmmmmm. „Wohooolf, kannst Du uns vielleicht doch erst einen Kaffee holen?“ Raus aus den Laufschuhen. Rein ins Bett. Fitness kann warten. Lieber noch ein bisschen faul sein. Faul sein ist wundervoll. Gut fürs Herz. Kann man ja noch ein bisschen mit einer Atemübung verstärken. Oder einfach nur so faul sein. Spüren.
Okay. Neun Uhr möchte der Bauch nicht mehr faul sein, sondern knurrt nach keinem Veränderungs-Gemüse-Smoothie... Am Wahnsinns-Frühstücksbuffet in Gut Edermann wandert das Esse(eee)ner Brot auf den Teller, Frischkäse, Lachs, Spiegelei, handgeschöpfter Honig, hausgemachte Zwetschgenmarmelade, und Budwig-Leinölquark mit Früchten, Leinsamen und Walnüssen. Xunt Frühstücken bis Bauch und Seele genug haben. Ohne E-Nummern. Ohne Carb-Verbote. Mit Genuss. Maxxl niest, wie er es immer tut, wenn er uns zur sofortigen Aktivität auffordert, und wir schlüpfen sofort in die Wanderschuhe. Vor uns 12 km Höglrunde über die Strobl-Alm. Jeder Schritt glückliches Glucksen im Bauch. Gesundheit erwalden. Sonnen-Vitamin D tanken. Wandernd den Stoffwechsel anregen. Spüren. Fühlen. Schnuppern. Höhren. Gucken. Nichts tut dem Körper, der Seele so gut. Der Höhepunkt auf dem Weg: ein Misthaufen. Mit einem Haufen pickender Hühner drauf. In der Traumdeutung ein Glücksbringer. Wie gemalt für den Anfang eines neuen Jahrzehnts. Also nach vier Stunden Wandern geht es weiter mit der Veränderung. Körper spüren. Dafür stehen 2500 Quadratmeter Spa zur Verfügung. Mit Pool, Saunalandschaft, Heukuschelplätzen. Welch herrliches Veränderungspotential für das Ich-tu-meinem-Körper-und-meiner-Seele-was-gutes-Projekt. Und dann, ein weiterer Höhepunkt (außer dem Misthaufen beim Wandern): 75 Minuten bei der Kosmetikerin. Seidengesichtsbehandlung. Das letzte Mal war ich vor meiner Hochzeit bei der Kosmetikerin. So etwa vor 20 Jahren. Seitdem hat sich so scheint es viel getan in meinem Gesicht. Zeit, da mal ein bisschen hinzuspüren. Während Wachs auf meine Oberlippe tropft, sinniere ich über den Mailwechsel mit unserem Alltagsphilosophen Frater Michael Bauer – ich hab‘ ihm zum Geburtstag gratuliert...
Er: Liebe Marion! Danke vielmals! Älter werden tut weh! :-) Wobei das Alter so was ist wie die zweite Pubertät, plötzlich sprießen dort Haare, wo vorher noch keine waren...:-) LG Michael.
Ich: Die Natur ist gnädig. Sie segnet uns im Alter mit Weitsichtigkeit.
Er: ...leider nicht jeden, vor allem die sogenannten "Mächtigen" unsrer Tage könnten ein wenig mehr davon vertragen. Mir beschert das Älterwerden eine leichte Kurzsichtigkeit, augenmäßig...
Ich: Lieber Michael, schön mit Ihnen zu Philosophieren, wenn uns auch unsere Muttersprache diesmal im Verständnisweg stand. Weitsichtig, so sagen wir dazu, wenn man irgendwann die Arme ausstrecken muss, um das Buch zu lesen. Man sieht in der Nähe nix mehr so richtig. Im Spiegel. Und dafür bin ich gerade sehr, sehr froh.
Er: ...ja, die Ösis und Deutsch... harte Aging Realität ist, wenn einen die Natur sagt – keine Rede von fragen – ich fange an, deine Haupthaare zu zupfen... autsch! Gibt es denn keinen Jungbrunnen, in den man steigen kann? Körper verjüngern und seelische Reife beibehalten...
Während die Seidenmaske auf meinem Gesicht wirkt, denke ich über diesen Tag nach. Ein Tag wie jeder andere? Nein. Gott-sei-Dank. Man braucht auch schlechte Tage, um die guten zu genießen. Doch eine kleine Veränderung sollte an jedem Tag stattfinden. Denn Verändern, das bedeutet bewegen. Das bedeutet Leben. Starr ist der Tod. Dafür haben wir irgendwann genug Zeit.
Bewegt, und mit seidigem Gesicht suche ich um ein Jahrzehnt verjüngt meinen Wolf. Freue mich über seine freundlichen Falten um die Augen. Und ich bin froh: Er erkennt mich wieder.