Zufällig entdecke ich auf Amazon einen Glyx-Guide mit über 1000 Lebensmitteln von einer Autorin, die nicht Marion Grillparzer heißt. Hmmm… „Glyx“ ist meine Erfindung. Der Titel darf nur auf meinen Büchern stehen.
Nun, ich versuche die Autorin H.v.W. ausfindig zu machen. Sie war fleißig. Sie hat viele Bücher geschrieben. Zu all den Themen, die eine große Zielgruppe haben. Lauter Gesundheits-Ratgeber. Von Laborwerte über Reflux zu Hypochonder, ätherische Öle, CDL, Ischias, Allergie, Candida, Narzisstischer Vater, Eisenmangel, Schamanismus, Tantra, Fremdgehen, Endometriose, Fersensporn, Histamin-Wahnsinn, Zungendiagonstik, ChatGPT, und vieles mehr.
Eines, mit bunten Pinseln darauf, heißt bizarrerweise (sic!) „Kunststherpie in der Praxis“. Ein Buchtitel mit Fehlern drin? So etwas hat Seltenheitswert, da wird man stutzig. Und findet überdies: Diese Dame mit einem in der Ratgeber-Szene völlig ungehörten Namen hat bis dato 164 Bücher geschrieben. Ein Wunder an Fleiß! In welch emsigen Verlagen die wohl über die Jahre hinweg veröffentlicht wurden? Und man staunt sich durch die 164 Einträge auf Amazon hindurch – und stellt fassungslos fest: Sie hat diese 164 Bücher allesamt im Jahr 2024 herausgebracht. Na, diese Kollegin möchte man doch kennenlernen, denkt man und fragt die große Anwortmaschine Internet. Nichts! Kein Wort, kein Bild, keine Kurzbiografie. Nur diese Bücher.
Ich schaue mir die Leser-Reaktionen auf Amazon an. Die reichen von „gaga“ bis „sehr allgemein gehalten“ – und auf jede schlechte Bewertung folgt eine blendend gute mit fünf Sternen. Und all diese Lobhudeleien sind wiederum von einer einzigen „Leserin“: Und nicht mal ungeschickt: „Ich wollte es erst nicht kaufen, da ich die Bewertung las, aber ich bin froh, es ist wirklich gut beschrieben.“ Die gute Frau Jacobs hat also in diesem Jahr fast all die (schlecht bewerteten) Bücher von Frau v.W. gelesen und für so gut befunden, dass sie auf Amazon eine Lanze nach der anderen für Frau v.W. brechen muss. Dicke Wälzer über MSM (Jacobs:„341 Seiten zu diesem Preis!“), Hallux Valgus (Jacobs: „Leicht und einfach erklärt“), Sodbrennen oder Laborwerte, Psychobücher und Sexaufklärer, Ratgeber über Eisenmangel, Ischias und Candida. Die arme Katharina, woran die alles leidet… Entsprechend stuft sie auch „Das große Hypochonderbuch“ mit 5-Sternen ein – „ein großartiges Buch“.
Spaß beiseite. Stell Dir vor, Du bist eine Autorin und schreibst 164 Bücher in einem Jahr. Stellst diese online auf Amazon und Thalia und andere Online-Buchhandlungen, schreibst Dir selbst Top-Bewertungen, verkaufst und kassierst. Eine Geldmaschine! Das schafft keiner? Heute offenbar schon: dank KI, Roboter-Intelligenz. Und das ist, finde ich, Betrug an unserer Kultur. An jedem einzelnen Leser. An Buchautoren, die gerade mal ein Buch oder zwei im Jahr schaffen, weil sie ehrlich recherchieren, wahrhaftig schreiben, und sich um eine gute Schreibe bemühen. Qualität kommt von Qual, und dafür braucht jede Autorin Zeit.
Ich hab‘ dann mal die KI gefragt, was sie denn wisse über die Autorin H.v.W. Nicht viel: „Sie schreibt vor allem für Leser, die aktiv ihre Gesundheit in die Hand nehmen möchten. Ihre Bücher sind über verschiedene Online-Buchhandlungen erhältlich, jedoch sind weiterführende Informationen über die Autorin selbst eher rar.“ Aha, rar. Ich konnte ja auch nix finden.
Ich habe mir dann mal den „Glyx-Guide“ als Taschenbuch bestellt (eine 67-Seiten-Broschüre für 6,41 €). Der kam gestern an. Reden wir nicht von der langweiligen, theoretischen, trockenen Schreibe, der übergroßen Schrift und dem mageren Inhalt, mit dem ich „meine Gesundheit in die Hand nehme“. Viel schlimmer ist: Frau HvW weiß nicht, worüber sie schreibt. Sie bringt alle Begriffe durcheinander: Der Glyx (der glykämische Index) ist für sie gleich der glykämischen Last, und diese nennt sie Ladung. Sie hat keine Ahnung, zumindest nicht von Ernährungswissenschaft, meinem Fachgebiet. Auch inhaltlich: Betrug am Leser.
Ganz hinten auf der letzten Doppelseite findet man in gefühlt 3 oder 4-Punkt kleiner Schrift „Impressum und Haftungsausschluss“. Man muss das abfotografieren und auf dem Computer großziehen, damit man überrascht lesen kann: Dass Hellene von Waldraben (diesmal ohne g) und ihr Team für alles verantwortlich seien. Text, Illustration, Fotos, Grafik, Herausgabe ... Irgendwann steht hinter der Dame in Klammer: „(Pseudonym)“. Oha, das Schreibwunder gibt sich bescheiden!
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Dann liest man endlich in denAllgemeinen Hinweisen: „Dieses Buch wurde mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz (KI) verfasst.“ Und: „Wir“ (wer immer das auch ist) „übernehmen keine Garantie für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der Inhalte.“ Die geäußerten Meinungen und Ansichten seien die der KI und nicht die der Autorin oder des Verlags. Und man distanziere sich ausdrücklich vor jeglicher Verantwortung für mögliche Konsequenzen.
Und man bedankt sich für das Interesse an diesem Buch (und hofft – ebenfalls kaum zu glauben – „dass es bei Ihrem Gartenprojekt hilfreich ist“). Verantwortung? Wir doch nicht! Spätestens dies dürfte ein Verstoß gegen das Impressums-Recht sein, und das vermutlich mindestens 164 mal.
Wenn ich nun, nach dieser Recherche, bei Amazon ein Buch bestellen möchte, kommt in der Zeile „Top-Angebote für Dich“ jedes dritte Buch von ihr…
Dies ist eine gigantische Verarsche (pardon!), ein dickes Geschäft. Ich frage mich echt, warum Firmen, die mit Kunst und Kultur und Büchern Geld verdienen, also Verlage, Sortimenter, Vertriebsplattformen, da nicht mal nachgucken ... Muss das nicht auffallen, dass da etwas so ganz und gar nicht stimmt? Ich habe an Thalia und Amazon geschrieben – wie folgt:
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Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin Buchautorin. Und habe auch immer schon Bücher bei Ihnen gehabt. Mitunter drei auf den ersten drei Plätzen. Nun bin ich auf etwas sehr, sehr Seltsames gestoßen (…) Wie kommt es, dass eine einzige Autorin auf dem Online-Buchmarkt in einem Jahr 164 Bücher veröffentlicht? Und die Bewertungen/Sternchenvergabe auch von einer einzigen Person erfolgt? Wird da vom Verkäufer nicht ein wenig kontrolliert?
Könnte zum Beispiel ich als Autorin unter einem Pseudonym, das kein Mensch kennt, nächstes Jahr 150 Bücher schreiben – und sie nehmen die alle in Ihren Online-Shop?
Es wäre schön, wenn mich jemand anrufen könnte…“
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Natürlich hat sich keiner gemeldet. Aber Amazon bildet ja selbst Autoren dazu aus, mit KI Geld zu verdienen.
Aber wer ist Hellene von Waldgraben? Hat sich da vielleicht eine KI selbstständig gemacht? Kaum zu glauben. Ich habe mich an den „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ gewandt. Und hoffe, dass die investigativen Journalisten das aufgreifen und aufdecken, wer oder was dahintersteckt. Das ist für mich eine Nummer zu groß…
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Der Rechtsanwalt vom GU-Verlag hat eine Anfrage, ob man rechtlich gegen den KI-Glyx-Guide vorgehen kann.
Und was mich echt interessiert: Warum gibt es noch keine Pflicht einen Text und erst recht ein Buch deutlich zu kennzeichnen, wenn es von der KI verfasst wurde? Da gehört ein Stempel drauf. Dann ist es kein Betrug mehr, denn ich kann mich als Käuferin entscheiden, ob ich KI will oder menschliche Expertise. Ich habe nichts gegen die Mithilfe eines intelligenten Gehirns, das mir beim Recherchieren Zeit spart und Korrekturarbeit abnimmt – als Werkzeug. Aber auf Knopfdruck Bücher schreiben, das Wissen anderer Autoren abschöpfen, zu „gaga“ Texten umformulieren und damit Geld verdienen etcetera – das geht gar nicht.
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Mein Rat zum Schluss? Kauf ein Buch nur, wenn es einen Autor oder eine Autorin hat, über die man sich informieren kann.
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Nachtrag: Freitag 13. Dezember
Heute rief mich Christiane Lutz an. Von der Süddeutschen Zeitung. Sie hat jemanden vom vom epubli-Verlag an die Strippe gekriegt. Dort ist man nicht begeistert. Man wisse, wer hinter dem Pseudonym stecke. Und wird dem ganzen Einhalt gebieten.
Christiane Lutz schreibt jetzt einen Artikel über Self-publishing und KI. Und dass „die Technik leider schneller ist als unsere Gesetzgebung.“ Ich berichte Euch weiter! Und fühle mich ein bisschen wie Robina Book. Schützerin von Autor*innen und Leser*innen – und all den anderen, die am entstehen eines guten Buches beteiligt sind.
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20.Dezember
Hier ist der Artikel von Christiane Lutz in der SZ, unter KI und Literatur
Titel: Tausend Seiten in zehn Tagen
https://www.sueddeutsche.de/kultur/kuenstliche-intelligenz-buecher-lux.HmNERnPf3DdbsMR6rmAYmz
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