Das keiner noch mal erleben will. Doch ich möchte auch vieles nicht missen. Jedes Lächeln von Anni, meinem Patenkind ein großes Glück. Die Hühnchen... ihr fröhliches Gackern, ihr kluges Erzählen, ihre leckeren Eier. Der tiefblaue Königssee. Der Cappucino in Boissano. Das zauberhafte menschenleere Venedig. Wolfs Arme. Kurtis Nüstern. Maxxls Wedeln. Wandern. Reiten. Skypen. Und Brot backen. Fluffiges Brot backen. Sauerteig-Brot backen. Scheitern und Wachsen. Mal was anderes Kochen. Einmachen. Lachen. Erzählen. Zeit haben. Idogo reaktivieren. Damengambit auf dem Trampolin auf Netflix sehen. Wenn wer nervt in den LoveTuner pusten. Mit Nachbarn bei Minusgraden Gemüsesuppe an der Feuerschale essen. Oft mit einem Lieblingsmenschen skypen. Alte Beziehungen aufleben lassen. Winter-Sonnenstrahlen auf dem Balkon tanken. Zaubertrank entwickeln. Ein kleines Büchlein mit Michelle mit den gesündesten Rezepten und den goldigsten Illustrationen druckfrisch in der Hand halten. Ach meine Liste ist unendlich lang ... Und hilft mir beim nach Vorne schauen. Ich möchte schon optimistisch sein. Hoffnung haben. Alles wird gut. Halt!
Ich hab Geo gelesen. Den Artikel „Im Pessimismus liegt die Kraft.“ Der britische Philosoph Alain de Botton sagt, es bringe nichts, nur optimistisch in die Zukunft zu schauen. Der Satz "Alles wird gut" sei kein guter Satz.
Was hilft es jemanden, der deprimiert ist, pechschwarz im die Zukunft guckt, wenn ich ihm sag: Schau doch mal wie schön... Gar nix! Alain e Botton sagt, es seien die Gedanken der Pessimisten, die uns aufrichten. Seiner Meinung nach lautet einer der tröstlichsten Sätze: "Alles ist absolut furchtbar." Und er zitiert gerne Nicolas Chamford, französischer Moralist, 18. Jahrhundert: "Ein Mann sollte jeden Morgen eine Kröte schlucken, um sichergehen zu können, dass ihm an dem Tag, der vor ihm liegt, nichts Widerlicheres begegnet."
Was ist dran? Na ja, Pessimisten weisen uns schlichtweg den Weg zu mehr Gleichmut. Grantig und unglücklich macht uns nämlich nur eine Welt mit überzogenen Erwartungen. Der Engländer ärgert sich nie über den Regen. Er erwartet nicht täglich Sonnenschein. Und wir ärgern uns über den Stau, das misslungene Brot, weil das Päckchen nicht gleich morgen kommt. Wir erwarten Dinge, wie Staufreiheit, stetes Backgelingen, Überpünktlichkeit... Blödsinn. Und das Schlimmste, wir erwarten von uns selbst viel zu viel. Alles muss perfekt sein. Die Liebe. Der Beruf. Das Ich. Und für all das gibt es Ratgeber. Anleitungen zu Challanges gegen sich selbst. Alain de Botton: „Eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern pausenlos die Erkenntnis aufdrängt, sie könnten alles erreichen, wird zwangsläufig zu einer Gesellschaft der Unglücklichen, der Frustrierten, der Neider.“ Denn man ist nicht nur seines Glückes Schmied, sondern wenn’s nicht so richtig klappt, der Versager.
So rät uns der Philosoph: „Den Blick skeptisch auf die Probleme zu heften, Scheitern als Möglichkeit von vornherein einzukalkulieren, das ist ein Erfolgsrezept.“ Auch richtig. Wie immer gilt: Die Dosis macht es. Ich möchte trotzdem noch guter Dinge ins neue Jahr blicken. Und hoffen: Alles wird gut. Na ja, vielleicht nur besser? In jedem Fall nicht: perfekt.